Beate, schwerkrank ohne Diagnose

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Krank ohne Erklärung

Hallo, ich bin Beate, ich bin 56 Jahre alt und ehemals sehr sportlich. Ich lebe in meiner Heimatstadt Berlin mit meiner Familie. Bevor ich krank wurde habe ich bis 2018 in einem Marktforschungsinstitut gearbeitet. 2018 kam erst eine Reha, aus der ich arbeitsunfähig entlassen wurde. Im gleichen Jahr folgte die Schwerbehinderung mit 50G und die Berentung, da war ich 52 Jahre alt und schon 8 Jahre ohne Diagnose krank.

Dinge auf die lange Bank zu schieben, sowas geht bei mir gar nicht. Lieber heute als morgen möchte ich etwas erledigen und somit abhaken können. Dass ich für meine Symptome keine Diagnose und ein passendes Medikament bekommen kann, welches mich heilt, ist dadurch sehr schwer auszuhalten.

Dass die Worte „Patientin ohne Diagnose“ mich fast 1/3 meines bisherigen Lebens begleiten oder besser an mir kleben werden, hätte ich niemals für möglich gehalten.

In meiner Vorstellung muss doch für alles Erklärungen geben und nicht einfach mit dem Stempel F45.0 versehen werden!

F45? Was ist das?

Menschen, die häufiger eine Krankmeldung für die Krankenkasse oder einen ärztlichen Bericht in der Hand halten kennen die Codes, die anstelle der ausgeschriebenen Diagnose stehen. Diese sogenannten “ICD10” Codes, sind ein international gültiger Schlüssel, mit denen Erkrankungen benannt werden. Eine Erkältung wäre in etwa eine “J11“, Multiple Sklerose “G35”. Die “F” Diagnosen beziehen sich auf psychische Erkrankungen, Depressionen sind F32.  Interessant wird es hier: F45:  Psychosomatische Erkrankungen

Das Charakteristikum ist die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherung der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind. Wenn somatische Störungen vorhanden sind, erklären sie nicht die Art und das Ausmaß der Symptome, das Leiden und die innerliche Beteiligung des Patienten.

Je überzeugter der Patient von seinen Symptomen ist, desto zementierter wird also die Diagnose. Im Zweifelsfall hilft nur noch ein Arztwechsel um Licht in den Diagnose Dschungel zu bringen. “Psychosomatisch” ist zumindest ein Mittel um den Patienten kostengünstig und schnell aus der Praxis zu bekommen. Unsichtbare Diagnosen wie Schilddrüsenprobleme, Multiple Sklerose oder sogar Krebs können übersehen werden. Betroffene verlassen die Praxis mit dem Gefühl durch eine entscheidende Prüfung durchgefallen zu sein. Oder mit: “du bist sogar zu blöd zum ordentlich krank werden”.

Hinzuzufügen ist, dass psychosomatische Erkrankungen ebenso vom Fachmann behandelt gehören, wie rein “organische” Erkrankungen. Findet man keine Diagnose steht dann am Ende F45, ob es nun stimmt oder nicht.

Zurück zu mir:

Erklärungen, warum ich Muskelschwäche nach Belastung habe? Mein linker Fuß ununterbrochen krampft? Meine Zehen sich unkontrolliert bewegen? Warum meine Bindegewebe sichtbar schwindet und zwar am ganzen Körper? Warum ich Hohlfüße und -hände habe?
Weshalb meine Waden- und Oberschenkelmuskulatur nach Anstrengung vibrieren und schmerzen?
Warum ich nach körperlicher Anstrengung erschöpft bin – dafür muss es doch im 21. Jahrhundert Erklärungen geben?

Seit meiner Kindheit bin ich sportbegeistert, war immer in Bewegung und kenne meinen Körper sehr gut. Ausgepowert sein nach sportlicher Anstrengung ist ein gutes Gefühl – erschöpft sein fühlt sich krank an.
Meine Beschwerden, Beeinträchtigungen und auch Veränderungen haben sich von Beginn an sonderbar angefühlt!
Es war mir immer klar, dass diese Symptome eigenartig, nicht normal sind…

So begann alles

Angefangen hat alles im März 2010. Nach dem Joggen hatte ich in meinen Unterschenkelknochen kleine Knochenrisse, so eine Art Mini-Fraktur. Der Orthopäde nannte es Ermüdungsbrüche, für die es schon damals keine Erklärung gab (kein Knochenkrebs, keine Osteoporose, keine auffälligen Werte). Die Ärzte meinten, ich solle meinen Kopf frei machen, dann würde das Gefühl der schweren Beine knieabwärts, die ich von dort an hatte, besser werden und ich könnte wieder joggen.

Falsch gelegen! Auch eine Laufanalyse half nicht, so dass ich nur noch gewalkt, geschwommen bin und im Fitnessstudio war. Aber alles im gesunden Maß – ich bin keine Sportfanatikerin gewesen. In den Jahren habe ich gelernt, zu manchen Aussagen noch Erklärungen hinterherzuschieben!
Irgendwann spürte ich während und nach sportlicher Betätigung eine Art „Unterversorgung meines Körpers“. Manche Sportler versorgen sich ja auch zwischendurch mit Traubenzucker, war mein Gedankengang, aber auch das half nicht.
2013 kam ein schweres Schwächegefühl und Vibrieren ( wie Handyklingeln ohne Ton ) in beiden Waden, sowie Kribbeln in den Füßen hinzu. Irgendwann merkte ich auch, dass sich meine Füße, Finger, Hände, Arme, Beine, mein Körper und vor allem mein Gesicht veränderten. Diese Beobachtungen machten mir besonders große Angst und belasten mich auch aktuell weiterhin sehr. Älter werden, Falten bekommen ist alles kein Thema bei mir!
Krank auszusehen, einzufallen und sich rasant zu verändern ist eine sehr harte Nuss.
Vor allem, wenn man nichts hat, was es stoppen kann. Eine Zeitlang habe ich es mit Hyaluronspritzen versucht, aber es konnte gar nicht so viel aufgefüllt werden, wie eingefallen ist. Außerdem war es auf Dauer zu teuer und auch sah ich doch irgendwie auch verändert aus. Auch das gefiel mir nicht. Ich wollte doch einfach nur gesund aussehen.

Hunderte von Arztterminen bringen keine Erklärung

Es ist seit meinem 44. Lebensjahr so viel kostbare Lebenszeit verloren gegangen.

Zeit, die ich mit besseren Dingen als mit einer erfolglosen Reha, Hunderten von Arztterminen, diversen Heilpraktikern, Naturärzten, TCM, Osteopathen, Homöopathen und Tausenden von Emails verschwendet habe. Ganz zu schweigen von den Unsummen von Geld, die ich in Termine wie Heilpraktiker, Naturärzte etc. gesteckt habe, nur, um meinem Umfeld den Gefallen zu tun. Um sagen zu können, dass ich auch alles versucht habe, um wieder gesund zu werden. Ich erinnere mich an den Kommentar einer Freundin, die meinte, dass ich selber schuld sei, wenn ich nicht gesunden würde. Die Begründung war, meine ablehnende Haltung Heilpraktikern und Homöopathen gegenüber.
Ich habe ich darüber hinaus auch von etlichen Ärzten und ihren Angestellten abfälliges Verhalten ertragen müssen.
Hat man keine Diagnose, kann es nur die Psychosomatik sein – das kennen ja mittlerweile viele. Gegen dieses „Abgestempelt werden“, habe ich von Beginn an gekämpft, denn ich spürte immer, dass etwas mit meiner Muskulatur und / oder den Nerven nicht stimmt. Gerade als ehemalige Sportlerin kenne ich den Unterschied zwischen Ausgepowert- oder Erschöpftsein sehr gut. Da hilft auch kein Einreden von Ärzten, dass eben alle älter werden und der Körper nicht mehr so leistungsfähig ist.
Unerträglich war auch der Spruch eines Neurologen der Charité: „Solche Frauen, wir Sie, die kenne ich. Ich verschreibe Ihnen mal Cipralex-Tropfen!“ – das ist ein Antidepressivum.
Oder einer Praxis-Mitarbeiterin: „Ich kann ja auch einfach mal krank machen so wie die, dann können alle sehen, wo sie bleiben!“

Oder der Reha-Ärztin: „Sie haben nur das Empfinden, dass Sie das nicht mehr können.  Die Psyche spielt viel mit. Ich habe mir Ihre Akte noch einmal angesehen: Sie haben nichts!“

Die Drehtür Patientin

Man steht man immer nur als „arme Psycho“ da. Als nervige „Drehtürpatientin“, als Hypochonder, ebenfalls eine meiner Verdachtsdiagnosen. 
Bis heute machte kein einziger Arzt bei mir unaufgefordert Verlaufskontrollen, nur jeweils um meine Bitten hin.

Kümmerstelle für Patienten ohne Diagnose

Im Juni 2022 gab es ein Patienten-Dialog-Forum vom Tagesspiegel, bei dem u.a. Prof. Dr. Schäfer, ACHSE e.V., Pfizer Teilnehmende waren. Ich hatte auch kurz ein Rederecht und bat um „Kümmererstellen“ für Patienten ohne Diagnose, welches auch Prof. Dr. Schäfer vom Zentrum für seltene Erkrankungen in Marburg unterstrich. Er kennt seit Jahren meinen “Fall” und ist ebenfalls ratlos. Den „Psychostempel“ hatte ich übrigens in keinem seiner Berichte über mich, im Gegensatz zu anderen Zentren für seltene Erkrankungen. Dort wurde mein Akte zwei Mal mit dem Vermerk „Empfehlung einer psychosomatischen Therapie“ geschlossen oder ich wurde mit den Diagnosen „dissoziative Störung“ versehen. Das war für mich besonders heftig, denn mein Fall war somit erledigt, abgeschlossen, weggepackt.
Man sucht ja doch immer wieder nach dem sogenannten Strohhalm, den Arzt, der ein ähnliches Krankheitsbild kennt.

Mein langjähriger Hausarzt ist definitiv mit meinem Krankheitsfall überfordert.
Er selbst nennt sich Wald- und Wiesenarzt und weiß sich keinen Rat. Wechseln werde ich nicht mehr, denn er nimmt sich Zeit, ist sehr nett und hört mir zu.

Ein Hinweis auf mögliche Ursachen

Dankbar bin ich für meinen sehr guten Psychotherapeuten, der mich nur noch in Akutphasen betreuen muss. Diesen habe ich Ende 2018 gefunden.
Dieser wunderbare Psychotherapeut erkundigte sich 2019, ob ich irgendwann mal das Antibiotikum mit dem Wirkstoff  Ciprofloxacin ® eingenommen habe, denn es wurde viel in der Presse über die schweren Nebenwirkungen berichtet. Seit 2018 steht es auf der Roten-Hand-Liste und darf nicht mehr leichtfertig verordnet werden, da es zu irreparablen Nebenwirkungen im Bereich Muskeln, Gelenke und Nervensystem führen kann. Nach einigen Telefonaten erfuhr ich, dass ich im Mai 2009 von meinem damaligen Hautarzt dieses Medikament aufgrund einer Lapalie verordnet bekommen habe. Ich nahm 10 Tage lang 2x täglich des Antibiotikums ein und vergiftete meinen Körper. Nachweisen kann ich es leider nicht, denn der Wirkstoff geht in den Körper, erfüllt seine Aufgabe und verlässt spurlos den Menschen.

Vielleicht gibt es ja Patienten ohne Diagnose mit ähnlichen Symptomen, die von ihrer Einnahme auch nicht nichts mehr wissen, so wie ich 10 Jahre lang? Vielleicht wurde bei ihnen auch aufgrund einer genetischen Veränderung etwas getriggert? Die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen wurde mir von zwei Professoren erklärt – es ist alles möglich und die Vermutung kann stimmen. Nachweisen kann man es aber nicht…
Das wäre aber eine Erklärung für meine Erkrankung.

Innerliche Stärke

Innerlich wieder stark geworden bin ich durch meine Kunst, die auf Patienten ohne Diagnose aufmerksam macht.
Darüber habe ich ein Sprachrohr bekommen und es haben alle großen Berliner Zeitungen, der rbb und auch radioeins berichtet.

Ich möchte mit bunter Badekappenkunst Menschen helfen, wieder positiv zu denken und an sich zu glauben. Das, was mich stark gemacht hat, hilft vielleicht auch anderen!?
Ich habe gemerkt, dass, wenn ich etwas Produktives mache, was zusätzlich noch etwas Positives ist, ich meine Angst besser in den Griff bekomme. Anfangs habe ich auch alle meine Arzterfahrungen aufgeschrieben, also sowas wie einen privaten Blog erstellt, aber dadurch hatte ich immer nur das Thema Krankheit im Kopf. Gegoogelt, ob es Personen mit ähnlichen Symptomen gibt, hat mich auch eher belastet. Zusätzlich das aushalten zu müssen, wie schlimm es anderen geht oder auch unnötige Kommentare zu lesen, hat mich runtergezogen.

Dass der Medikamentenkonzern Pfizer, neben den Videos über Personen mit seltenen Erkrankungen, mich über meine Geschichte berichten ließ, gab mir zusätzlich Stärke.
Der Podcast zum Thema „Fehldiagnose psychosomatisch“ ist ebenfalls sehr empfehlenswert, denn er macht deutlich, dass es gerade Frauen besonders schwer haben, wenn sie auf Diagnosesuche sind.

Aushalten lernen

Das Schwierigste ist auszuhalten, dass es nicht besser wird, sondern sich Stück für Stück in Schüben verschlechtert. Sich dann aus dem Tal der körperlichen Erschöpfung, der andauernden Schmerzen, dem schleichenden Abbau und vor allem der Hoffnungslosigkeit wieder heraus zu kämpfen, hat schon wirklich was mit Hochleistungssport für die Psyche zu tun. Danach verleihe ich mir jedes Mal gedanklich eine Medaille, hänge sie zu den anderen aus den letzten 13 Jahren und bin mehr als stolz auf mich, denn es lohnt sich immer wieder aufs Neue.
Ich wünsche allen Chronisch-Erkrankten ( mit oder ohne Diagnose ), körperliche und psychische Stärke und das Bewusstsein, welch grandiose Leistungen sie tagtäglich vollbringen!
Hiermit verleihe ich allen symbolisch einen Orden!

Herzlichst, eure BEATe

3 Comments

  • Birgit 2. August 2023 at 15:58 Reply

    Danke für den Artikel. Den Zustand zu akzeptieren und damit zu leben ist eine Sache, zu wissen man ist damit nicht alleine, eine andere…. erleichternde Tatsache.

  • Daria 21. März 2023 at 9:12 Reply

    Hoffentlich wird es bald eine Erklärung geben.

    Daria

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