Diagnose ME/CFS – der lange Weg von Sandra bis zum Befund!

unsichtbare Behinderung

Inhaltsverzeichnis

Was bedeutet ME/CFS?

Ich heiße Sandra, bin 39 Jahre alt, komme aus Niedersachsen und habe zuletzt als Verwaltungsfachangestellte im Jugendamt gearbeitet. Seit Ende 2017 bin ich an ME/CFS erkrankt und kann deshalb seit Anfang 2018 nicht mehr arbeiten. Die Diagnose erhielt ich jedoch erst nach einem aufreibenden Ärztemarathon im Oktober 2020.

Ein simpler Infekt brachte mich von einer Vollzeitstelle zur Erwerbsminderungsrente, zum Schwerbehindertenausweis und zum Pflegegrad!

 

Da viele Menschen ME/CFS noch nicht kennen, möchte ich die Erkrankung einmal kurz erklären: ME/CFS ist eine neuroimmunologische Multisystemerkrankung, die meist nach einem Virus Infekt (Epstein-Barr-Virus, COVID-19 usw.) auftritt.

 

Das Leitsymptom von ME/CFS ist die sogenannte Post-Exertional-Malaise (PEM), die Verschlimmerung aller Symptome (z. B. Belastungsintoleranz, Schmerzen, Grippesymptome, Orthostatische Intoleranz usw.) nach Belastung. Nähere Infos zu der Erkrankung findet ihr auch auf meinen Instagram Seiten @missing_sternchen und @wir_sind_mecfs@gmx.de.

Wie alles begann …

Bei mir fing alles im Ostsee-Urlaub im September 2017, mit Schwächeanfällen, an. Als ich wieder zu Hause war, bekam ich einen hartnäckigen Nasennebenhöhlen-Infekt, weswegen ich Antibiotikum nehmen musste.

 

Im November war es dann wieder ganz schlimm und ich bekam das nächste Antibiotikum. Ich bekam Magen-/Darmbeschwerden. Sie wurden von Tag zu Tag schlimmer. Dazu gesellte sich ein stark erhöhtes Schlafbedürfnis und körperliche Schwäche. Ich konnte zu der Zeit außer arbeiten und schlafen, gar nicht mehr machen.

 

Im Januar 2018 war es dann einen Tag auf der Arbeit so schlimm, dass ich mich krank melden musste und noch am gleichen Tag zum Arzt ging. Und dann begann meine Ärzte Odyssee, die sich insgesamt drei Jahre zog, bis ich dann endlich eine Diagnose hatte.

 

Mein damaliger Hausarzt schickte mich als erstes zum Gastroenterologen, wo bei Unverträglichkeitstests festgestellt wurde, dass ich eine Sorbit- und Fruktoseunverträglichkeit habe. 

 

Nach einer 6-wöchigen angepassten Diät besserten sich die Magen-/Darmbeschwerden zwar etwas, aber die körperliche Schwäche blieb. Und es kamen ständig neue Symptome hinzu.

 

Ich hatte andauernd Infekte, entzündete Augen, dicke Lymphknoten, Schmerzen, Kurzatmigkeit, Herzrasen, Hitze vertrug ich nicht mehr, ich wurde immer geräuschempfindlicher usw… Es musste also noch was anderes dahinter stecken.

Ärztemarathon

Mein damaliger Hausarzt schickte mich als erstes zum Gastroenterologen, wo bei Unverträglichkeitstests festgestellt wurde, dass ich eine Sorbit- und Fruktoseunverträglichkeit habe. 

 

Nach einer 6-wöchigen angepassten Diät besserten sich die Magen-/Darmbeschwerden zwar etwas, aber die körperliche Schwäche blieb. Und es kamen ständig neue Symptome hinzu.

 

Ich hatte andauernd Infekte, entzündete Augen, dicke Lymphknoten, Schmerzen, Kurzatmigkeit, Herzrasen, Hitze vertrug ich nicht mehr, ich wurde immer geräuschempfindlicher usw… Es musste also noch was anderes dahinter stecken.

 

Die nächste Vermutung meines Hausarztes ging in Richtung Burnout. Er schickte mich zu einem Psychiater, der mir nach ca. fünf Minuten Gespräch eine mittelgradig schwere Depression diagnostizierte und mir direkt Psychopharmaka aufschreiben wollte. Das wollte ich aber nicht, weil ich spürte, dass bei mir körperlich etwas nicht in Ordnung ist und dann wurde mir eine Gesprächstherapie aufgedrückt.

 

Nach unzähligen Telefonaten und ein paar Kennenlern-Terminen mit Psychologen, die meiner Meinung nach teilweise selbst einen Psychologen hätten gebrauchen können, fand ich eine sehr nette Verhaltenstherapeutin. Sie meinte nach unserem zweiten Termin, dass sie der Meinung sei, ich hätte keine psychische Erkrankung. Die Behandlung wurde also beendet. Und nun stand ich da wieder… wo kommen all meine Beschwerden her? 

 

Ich ging zum Kardiologen, zum Neurologen, zum Pulmonologen, zu einem weiteren Gastroenterologen, zum Orthopäden uvm.! Ich war insgesamt bei über 30 Ärzten, es wurden unzählige Untersuchungen und Tests gemacht. Nichts kam dabei raus. Immer wieder wurde mir gesagt, ich sei körperlich gesund und ich solle einfach mal mehr an die frische Luft gehen.

Bin ich doch “gesund” oder bilde ich mir das alles ein?

Weil alle Ärzte mich schulterzuckend und als „gesund“ nach Hause schickten und mir offenbar niemand wirklich helfen konnte oder wollte, kam mir eine Idee. Da ich seit dem 5. Lebensjahr die Diagnose „inkomplette Hypophysenvorderlappeninsuffizienz“ hatte, war mein nächster Verdacht, dass dahingehend vielleicht irgendwas nicht stimmt. Ich bat also meinen Hausarzt um eine Überweisung zum Endokrinologen.

 

Dieser stellte nach mehreren Terminen und Untersuchungen fest, dass meine Hypophyse inzwischen fast gar nicht mehr arbeitet. Bis ich medikamentös eingestellt war, vergingen einige Monate. Seine Einschätzung war, dass es mir ca. 6 Monate nach der korrekten Einstellung der Medikamente besser gehen wird. 

Dem war aber leider nicht so. Eher im Gegenteil, die Schwäche und alle anderen Symptome wurden schlimmer und eine Bronchitis warf mich dann gesundheitlich gesehen sogar noch weiter zurück.

Ich suchte also weitere Ärzte auf, aber niemand fand etwas. Es war so kräftezehrend und frustrierend!

Irgendwann fragte ich mich dann: Wenn die Ärzte alle nichts finden, ist es dann vielleicht doch was Psychisches? Aber warum hat dann die Verhaltenstherapeutin die Therapie beendet? Ich wusste echt nicht weiter.

Hausarztwechsel

Dann eines Tages sah ich durch Zufall einen Bericht im Fernsehen. Dort ging es um eine Krankheit von der ich bis dato noch nie etwas gehört hatte: ME/CFS – Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom.

 

Ich erkannte mich in den dort beschriebenen Beschwerden sofort wieder. Mir kam es außerdem total bekannt vor, dass Ärzte meist nichts finden und einen mit aktivierenden Therapien sogar noch in eine dauerhafte Zustandsverschlechterung therapieren (bei mir Rehasport) und ich dachte in dem Moment: Endlich weiß ich, was ich habe! 

 

Dann sprach ich meinen Hausarzt darauf an. Er meinte, das sei neumodisches Zeug, von dem er keine Ahnung habe. Er schrieb mich immer weiter krank, für mehr fühlte er sich anscheinend nicht verantwortlich.

 

Deshalb entschied ich mich den Hausarzt zu wechseln. Der neue Hausarzt hatte schon von ME/CFS gehört und schickte mich zu einer Neurologin, die sich aber leider auch nicht mit der Erkrankung auskannte.

Jetzt recherchierte ich selbst und fand heraus …

Weil mir niemand wirklich helfen konnte/wollte, fing ich daher an selber zu recherchieren und informierte mich immer mehr über diese unerforschte Krankheit, die ca. 300.000 Menschen allein in Deutschland betrifft. Ich konnte und kann es nicht fassen, dass man damit so alleine gelassen wird in einem angeblich so fortschrittlichen Land wie Deutschland.

 

Über Instagram und Facebook lernte ich immer mehr ME/CFS Betroffene kennen. Und durch mehrere glückliche Zufälle fand ich einen Arzt in meiner Nähe, der sich mit ME/CFS auskennt. Leider ist er zwar Privatarzt, aber wenn man so verzweifelt nach Hilfe sucht, ist das dann irgendwann auch egal.

 

Mein Termin bei dem ME/CFS Spezialisten war dann im August 2020 und ich fühlte mich zum ersten Mal von einem Arzt richtig ernst genommen und verstanden. Er nahm sich richtig viel Zeit für mich und stellte Fragen, die zuvor noch kein anderer Arzt gestellt hatte.

 

Nach seiner sehr umfangreichen Anamnese und einer Genanalyse hatte ich dann im Oktober 2020 einen Telefontermin mit dem Arzt zur Besprechung der Ergebnisse und was er mir sagte, musste ich erstmal ein paar Tage sacken lassen.

 

Ich hatte damit gerechnet, dass auch er mir sagt, dass er leider nichts finden konnte (weil ich diese Antwort so gewohnt war), aber er teilte mir mit, dass ich postvirales ME/CFS habe.

Diagnose ME/CFS – endlich schwarz auf weiß!

Mit dieser Diagnose muss man erstmal klar kommen! Ich war einerseits total froh endlich Gewissheit zu haben, aber andererseits ist das schon eine echt heftige Diagnose!

 

Es gibt kaum Forschung, keine Medikamente und daher kann ME/CFS derzeit nur symptomorientiert behandelt werden, wie z. B. mit Schmerzmitteln. Bei mir wurden mehrere Vitaminmängel festgestellt, die laut Arzt mit ME/CFS zusammenhängen. Die entsprechenden Nahrungsergänzungsmittel muss ich leider alle selbst bezahlen.

 

Ansonsten hilft mir nur ansatzweise das sogenannte Pacing (Kräfte einteilen). Mehr kann man nicht machen. Man liegt quasi zu Hause und muss darauf warten, dass einem endlich geholfen wird.

 

Auch wird man trotz Diagnose weiterhin häufig als psychisch krank abgestempelt, weil sich der Großteil der Behörden, Ärzte und Gesellschaft einfach nicht mit ME/CFS auskennt und sich auch nicht damit auseinandersetzen will.

 

Ich, als Betroffene kann nur hoffen, dass die Erkrankung nicht stetig schlimmer wird, denn zeitnahe Hilfe und Unterstützung ist leider nicht in Sicht!

 

Ich hoffe, dass sich da in absehbarer Zeit etwas ändert, denn Rente, Pflegegrad und Schwerbehinderung kam in meiner Lebensplanung nie vor und ich hoffe, dass ich irgendwann wieder mehr Lebensqualität habe!

 

Mein momentaner Alltag besteht aus kleinsten Anstrengungen (z. B. Brot zum Frühstück schmieren) und anschließendem stundenlangem Erholen im Liegen. Die Familie muss für mich einkaufen und andere Botengänge erledigen, denn ich kann kaum das Haus verlassen. Höchstens mal für einen kleinen Spaziergang oder um ein wenig auf der Terrasse zu sitzen/liegen.

Mein Alltag mit einer chronischen Erkrankung – ME/CFS

Aufgrund meines Pflegegrades habe ich eine Haushaltshilfe, die wirklich eine große Unterstützung ist. Jedoch kann sie in der wenigen Zeit nicht alles im Haushalt schaffen. Daher hilft mir meine Mutter, denn ich kann nur wenige Dinge selbst erledigen, weil sie einfach zu anstrengend sind. 

 

Kurze geringe Anstrengungen sind meist kein Problem für mich, aber alles darüber hinaus führt immer zu einem Crash (einer Zustandsverschlechterung), welcher Stunden bis Tage, teilweise sogar Wochen anhält.

 

Somit muss ich mir meine wenige Energie immer sehr gut einteilen und darf nicht über meine Grenzen gehen, was absolut nicht einfach ist, weil ich gerne so viele Dinge eigenständig machen möchte, der Körper kann es aber einfach nicht leisten. Das ist ein ständiger innerer Kampf: Ehrgeiz gegen Körper.

 

Ich musste sämtliche Hobbys von früher aufgeben und nach und nach sind alle Freundschaften eingeschlafen, weil sich gesunde Menschen wohl nicht mit kranken Menschen auseinandersetzen möchten. Eine sehr schmerzhafte Erfahrung! 

 

Es ist schwer mit so vielen Einschränkungen leben zu müssen, und das Ende 30!

Tag ein, Tag aus!

Ohne große Hoffnung auf medizinische Hilfe, Besserung oder gar Heilung!

 

Denn obwohl ME/CFS durch Long bzw. Post Covid immer mehr publik wird (ME/CFS ist auch die schwerste Form von Long bzw. Post Covid), bekommt man wirklich kaum Hilfe.

Was mich/uns ME/CFS-Betroffene bewegt und traurig macht …

Man verschwindet langsam aber sicher aus der Gesellschaft. Und das, obwohl ME/CFS nicht selten ist! 

Geschätzt können 60-80% aller ME/CFS Patienten nicht mehr arbeiten und das langfristig oder dauerhaft. Auch bei mir ist an arbeiten nicht zu denken. Der volkswirtschaftliche Schaden ist also enorm hoch, daher ist und bleibt es mir unverständlich, dass der Großteil der Medizin, der Medien und der Politik den Ernst der Lage noch immer nicht verstanden hat.

Die Erkrankung und die dadurch entstehenden Einschränkungen sind an sich schon sehr belastend. Für mich ist es aber tatsächlich noch mehr belastend, ständig nicht ernst genommen zu werden und diskriminiert zu werden. Und man muss nahezu um alles kämpfen (Hilfsmittel, Pflegegrad, Schwerbehindertengrad usw.).

Und am aller schlimmsten finde ich die Ungewissheit, ob die Erkrankung sich weiter verschlechtert. Denn sie kann bis zur vollständigen Bettlägerigkeit mit Sondenernährung und schlimmsten Schmerzen führen. Aus dem Grund kommt es immer wieder zu Suiziden. So furchtbar!

Ich wünsche mir für alle Betroffenen und natürlich auch mich, dass sich unsere Kämpfe um Hilfe irgendwann „lohnen“ und wir endlich die Unterstützung erhalten, die uns laut Grundgesetz bereits eigentlich zustehen, denn dort heißt es in Artikel 3 Absatz 3: „…Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.”

Wir ME/CFS Betroffenen werden meiner Meinung nach jedoch nahezu überall benachteiligt, vor allem im Gesundheitssystem!

Sandra

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