Torben will schwimmen lernen

Mein Name ist Katy und ich bin die Mama von Torben. Wir wohnen in Duisburg und zu unserer Familie zählen noch der Papa, 2 weitere Brüder und zwei erwachsene Halbbrüder, die aber nicht mehr daheim wohnen.

Torben ist 7 Jahre alt und unser Nesthäkchen, er liebt Fußball und Schwimmen. Er ist seit seiner Geburt so gut wie gehörlos. Durch einen Gendefekt Connexin26 ist Torben auf einem Ohr komplett ertaubt, auf dem anderen ist er hochgradig schwerhörig. Er trägt ein Cochleaimplantat und ein Ultrapower-Hörgerät. Normal Hören kann Torben damit nicht, es ist eine Unterstützung, aber speziell bei lauten Nebengeräuschen stößt die Technik an seine Grenzen.

Inhaltsverzeichnis

Gehörlos zum Schwimmunterricht?

Schon mit der Anmeldung beim Schwimmkurs stellte sich die Frage, wie die Kommunikation funktionieren soll? Die Idee einer Lösung war schnell da. Torben wächst von klein auf bilingual auf, er lernt Deutsche Gebärdensprache (DGS), neben der Lautsprache.

Wir stellten einen Antrag beim Sozialamt für einen Schwimmdolmetscher. Ich als Mutter lerne ebenfalls DGS, jedoch ist Torben uns inzwischen Meilen voraus. Deutsche Gebärdensprache ist eine komplett vollwertige Sprache mit eigener Grammatik, es braucht Jahre, um diese wirklich zu lernen.

Der Antrag auf Gebärden Dolmetscher

Antrag abgelehnt!

Das Sozialamt lehnte recht schnell ab, mit der Begründung, Torben könne sich von anderen Kindern abschauen, was zu machen sei und er solle von den Lippen ablesen. Für einen kleinen Jungen ist es viel zu viel, sich auf den Schwimmunterricht, und gleichzeitig auf das Lippenlesen zu konzentrieren. Ich war entsetzt über derartige Aussagen des Sozialamtes.

Inklusion bedeutet die gleichwertige Teilhabe, dies ist eindeutig hier nicht der Fall.

Wir gingen in Widerspruch und ein Mitarbeiter des Sozialamtes wollte sich von der Lage vor Ort überzeugen. Unser Schwimmkurs hatte mittlerweile begonnen und das Schwimmbad hatte mit mir den Kompromiss geschlossen, dass ich als einzige Mutter am Beckenrand die Kommunikation mit meinem Kind und dem Schwimmlehrer sicherstellen sollte. Eigentlich nicht meine Aufgabe, da ich selbst DGS lerne und mich nicht als Dolmetscher meines Kindes sehe. 

Eine Notlösung

So gut es ging, übernahm ich diese Aufgabe, damals benutzten wir noch ein Aquaset und Mikrofon für das Cochleaimplantat. Mit einem Hörgerät oder Cochlea Implantat ist kein normales Hören möglich. Es kommt mehr Lärm aus dem Schwimmbad bei ihm an, als das Gesprochene zu verstehen, daher lehnt Toben das Cochlea Implantat im Schwimmbad seither ab. Das Aquaset funktioniert nur für das Cochlea Implantat, und nicht für das Hörgerät. Das Hörgerät kann im Wasser gar nicht benutzt werden. Bei Störlärm -wie im Hallenbad- hat Torben ein Sprachverständnis von 10 bis 20 Prozent. Der Lärm in der Schwimmhalle liegt bei bis zu 120 Dezibel. Torben hört demnach nur Lärm und fast nichts vom Gesprochenen und lehnt die Hörhilfe so aus gutem Grund ab! 

Hier findet ihr eine Hörprobe des Satzes ” im Urlaub fliegen Emil und Otto nach Afrika” mit intaktem Gehör und nachfolgend mit Cochlea Implantat um das Problem zu verdeutlichen.

Der Mitarbeiter des Sozialamtes kam und sah sich die Situation vor Ort an. Das Schwimmbad und die Lehrer unterstützten uns sehr in unserem Vorhaben und sprachen für Torben. Das Sozialamt entschied, das pro Schwimmkurs ein Einsatz eines Dolmetschers erforderlich sei, jedoch nur 2-3x pro Kurs!

Der Gang zum Rechtsanwalt

Völlig sprachlos übergaben wir unserem Rechtsanwalt diesen Fall. Was sollten wir mit so einem Bescheid anfangen? Sollte der Schwimmlehrer in einer Gruppe von 15 Kindern mal eben nebenbei wichtige DGS Vokabeln vom Dolmetscher lernen, um irgendwie durch den Kurs zu kommen? Von Torben zu verlangen sich alles abgucken zu müssen, war für uns ein NoGo, er sollte schwimmen lernen und nicht mit Kompensieren des fehlenden Hörvermögens beschäftigt sein. Ebenso unmöglich ist es, dass der Schwimmlehrer Torben jedes Mal separat mit Händen und Füßen erklärte, was er tun sollte.

Die Sache ging vor Gericht und das mitten in der Coronazeit, was aber unser Glück war, da der Schwimmkurs nicht stattfand und wir Zeit schinden konnten.

Und dann noch zum Gutachter

Als die Kurse wieder begannen, machte unser Anwalt erneut Druck bei Gericht, das Sozialamt lenkte nicht ein und es wurde beschlossen, dass ein großes Gutachten erstellt werden sollte. Ich möchte nicht wissen, was dies gekostet hat, wahrscheinlich hätte dies bereits die Kosten für den Kurs gedeckt.

Ein Gutachter aus Köln besuchte uns zweimal, einmal im Schwimmbad und einmal privat zu Hause und das Gutachten sprach für Torben und seinen Anspruch.

Daraufhin lenkte das Sozialamt ein und genehmigte den Schwimmkurs für das Seepferdchenabzeichen.

Nach einem halben Jahr war das Seepferdchen geschafft und Torben, der seinen Brüdern nacheifert und Freude am Schwimmen gefunden hatte, wollte weitermachen. Mit der Schwimmdolmetscherin hatte sich Torben inzwischen gut eingespielt. 

Also stellte ich einen Folgeantrag.

Erneut gab es Diskussionen, was ich denn wolle, Torben hätte doch nun sein Seepferdchenabzeichen und könne schwimmen. 

Erklär dann deinem Kind, dass es aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht weiter lernen dürfe. Davon mal abgesehen hat Deutschland die Behindertenrechtskonvention der UN (UN BRK) unterzeichnet, was das bedeutet könnt ihr hier lesen.

Die UN Behindertenrechtskonvention in unserem Fall

Ich zitiere zum Verständnis Artikel 30 UN BRK

(4) Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf Anerkennung und Unterstützung ihrer spezifischen kulturellen und sprachlichen Identität, einschließlich der Gebärdensprachen und der Gehörlosenkultur.

(5) Mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilnahme an Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen,

  1. a) um Menschen mit Behinderungen zu ermutigen, so umfassend wie möglich an breitensportlichen Aktivitäten auf allen Ebenen teilzunehmen, und ihre Teilnahme zu fördern;
  2. b) um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, behinderungsspezifische Sport- und Erholungsaktivitäten zu organisieren, zu entwickeln und an solchen teilzunehmen, und zu diesem Zweck die Bereitstellung eines geeigneten Angebots an Anleitung, Training und Ressourcen auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen zu
  3. c) um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu Sport-, Erholungs- und Tourismusstätten haben;
  4. d) um sicherzustellen, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern an Spiel-, Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten teilnehmen können, einschließlich im schulischen Bereich;
  5. e) um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu Dienstleistungen der Organisatoren von Erholungs-, Tourismus-, Freizeit- und Sportaktivitäten haben.

Ein Zwischen- Erfolg

Das Sozialamt gab nach und genehmigte weiterhin einen Dolmetscher, zwang uns jedoch einen Wechsel auf, da die Dolmetscherin einen recht weiten Fahrtweg hatte und zu teuer war. Dies nahm ich zähneknirschend hin, da es für mich wichtig war, dass es für Torben weiterging, auch wenn sich die beiden nun erneut einspielen mussten.

Irgendwann hörte ich vom persönlichen Budget und beschloss, auch den Schwimmdolmetscher darüber laufen zu lassen, um unabhängiger zu sein, natürlich fielen auch andere Dinge dort hinein, z.B. finanzielle Unterstützung zu Tagungstreffen über den Bundeselternverband gehörloser Kinder, die Gehörlosenseelsorge und weitere Termine.

Torben schwimmt erfolgreich weiter

Alles gut, mit viel Stolz legte Torben das Schwimmabzeichen Silber ab und will nun mit Gold weitermachen. Relativ entspannt stellte ich den Folgeantrag, das Sozialamt schien ja nun verstanden zu haben … ich sollte mich täuschen.

Nun mitten in den Sommerferien, nachdem ich mehrfach nachfragen musste, bekamen wir einen Brief des Sozialamtes, dass Torben mit dem Silberabzeichen gut genug schwimmen könne und der Teilhabe-Auftrag erfüllt sei, die Weiterbewilligung des Schwimmdolmetschers wurde abgelehnt. Ich war echt geschockt über soviel Ignoranz.

Ein gehörloses Kind hat also kein Recht auf Förderung und Unterstützung indem, was ihm Spaß macht. Und das zu einem Zeitpunkt, wo gerade die Paralympics 2023 ausgestrahlt wurden und das Thema groß in allen Medien war.

Dennoch ärgerte mich dieses Verhalten derart, dass wir nun auch die Öffentlichkeit auf diese Missstände aufmerksam machen wollen, denn wir sind kein Einzelfall. Wir erfahren diese Ignoranz der Behörden seit Jahren und kämpfen dagegen an. Inzwischen haben wir den Landesbehindertenbeauftragten des Landes NRW mit im Boot, auch auf politischer Ebene hat man uns nach meinem großen Facebook Beitrag Unterstützung zugesagt. Das Klageverfahren wäre der letzte Weg für uns, da aber gerade alles am Widerspruchsbescheid hängt, heißt es abwarten.

Da uns die fallnitcramer Stiftung, ein inklusives Projekt für Hörbehinderte Kinder und Jugendliche, Unterstützung zugesagt hat, bleibt uns nun erstmal etwas Luft. Dies wäre jedoch auch nur Plan B, da dies das Grundproblem nicht löst und Stiftungsgelder mit Sicherheit an anderen Ecken dringender benötigt werden. 

Wir hoffen, dass der öffentliche Druck, der nun entstanden ist, zu einem Umdenken des Sozialamtes führt. Ich persönlich habe den Eindruck, das persönliche Budget steht schick auf dem Papier geschrieben, es ist aber nicht wirklich gewollt, dass diese Gelder beantragt werden. Inklusion funktioniert an ganz vielen Ecken nicht wirklich und kommt meist nicht da an, wo es gebraucht wird.

Mein Fazit hierzu

Fakt ist, man darf sich nichts gefallen lassen. Kämpft für eure Rechte, die im Gesetz stehen und lasst euch nicht abspeisen. Ich weiß, dass dieser Kampf sehr Kräfte zehrend ist, ich trage diesen Kampf an verschiedenen Stellen seit Jahren aus.

Wenn ich jedoch das glückliche Lächeln meines Sohnes sehe und wie er sich entwickelt hat, weiß ich, wofür ich dies tue.

Eure Katy aus Duisburg

Und Eure Caro_M

No Comments

Leave a Comment